Projektleiter oder Leiter kleiner Teams sind oft Chefs ohne disziplinarische Macht. Neben Führungsaufgaben arbeiten sie auch operativ. Auch in Gremien führen Vorsitzende ohne formelle Macht. Führung findet hier „von der Seite“ statt – auch als „laterale“ Führung bezeichnet. Hier sind die Anforderungen an Führungskompetenz besonders hoch.
Verantwortung übernehmen – ohne Chefrolle
Wir haben Verantwortung für unseren Bereich oder für ein Projekt übernommen oder wir haben den Vorsitz in einem Verein inne. Von den Kollegen werden wir oft „als einer der Ihren“ angesehen und nicht als deren Chef.
Wie gelingt Führung ohne Weisungsbefugnis?
Wie können wir in einer solchen Konstellation ohne disziplinarische Macht andere überzeugen, uns zu übergeordneten Zielen zu folgen? Wie motivieren wir andere, Aufgaben (von uns) zu übernehmen? Wie setzen wir Energie, Kreativität und Engagement bei unseren Kollegen frei? Wie erreichen wir Verbindlichkeit? Und wie gehen wir mit Kollegen um, die die Erwartungen nicht erfüllen?
Führen mit Fingerspitzengefühl – das Bild der Jolle
In solchen Konstellationen zeigt sich, wer gut führen kann. Als Führungskraft ohne disziplinarische Macht segeln wir eine Jolle: Ohne den stabilisierenden Ballast eines Kiels liegen wir schnell im Wasser, wenn wir die wirkenden Kräfte nicht geschickt lenken und austarieren. Wir kommen dann nicht oder viel später ans Ziel und fangen uns noch eine Erkältung ein.
Kommunikation als zentrales Führungsinstrument
Empathie und unsere Fähigkeit zu kommunizieren haben für die laterale Führung eine besonders hohe Bedeutung. Führen per Anweisung ist schwierig oder geht gar nicht – insbesondere dann nicht, wenn Teams mit Experten (manchmal sind das ausgemachte Diven) besetzt sind. Was ist nun wichtig? Andere mitnehmen, auch wenn nicht alle so schnell sind wie wir. Ziele verständlich und nachvollziehbar vermitteln. Am besten so, dass jeder einen Nutzen für sich erkennt, diesem Ziel zu folgen und sich hierfür einzusetzen. Erwartungen klar formulieren. Zuhören und den Standpunkt des Anderen respektieren – ihn erst einmal annehmen. Erkennen, was jemanden motiviert und wie wir dessen Ego kitzeln können.
Zwischen den Zeilen lesen – nonverbale Signale verstehen
Erkennen, was jemand sagt und was jemand nicht sagt. Und aus dem WIE etwas gesagt wird heraushören, ob da der Verstand gesprochen hat oder das Gefühl unseres Gesprächspartners. Was sagt es uns zum Beispiel, wenn bei der Besprechung von Aufgaben, Strategien, nächsten Schritten usw. mein Partner immer von „man“ und dann auch noch im Konjunktiv redet: „man müsste …“ Inwieweit steht derjenige tatsächlich dahinter? Was sagt mir das Wörtchen „aber“? Wird derjenige sich mit der Lösung beschäftigen – also damit, wie etwas geht oder sind seine Gedanken fokussiert auf Probleme und auf das was nicht geht. Wie wahrscheinlich ist es, dass wir dann ans Ziel kommen? Auch als Kommunikator „nach oben“ sind wir gefragt: Zeit- und Budgetvorgaben hinnehmen und dann den Druck weitergeben? Schlechte Idee. Hier ist Verhandlungsgeschick gefragt und auch die Stärke, NEIN zu sagen, damit das Team nicht (schon wieder) in Überlast fährt.
Laterale Führung will gelernt sein
All das ist anspruchsvoll und erfordert ständiges Üben und die Weiterentwicklung der eigenen (Führungs-)Persönlichkeit. Stellen wir uns als Chef einige Fragen: Ist uns bewusst, dass der Hauptgrund für Kündigungen die Unzufriedenheit mit der Führungskraft ist und dass der wichtigste Aspekt im Job die Atmosphäre im Team ist (Compensation Partner Studie 2019)? Können wir uns vorstellen, dass wir als Arbeitgeber attraktiver werden, wenn sich unter künftigen Mitarbeitern herumspricht, wie menschen-orientiert bei uns geführt wird? Wie gut sind unsere Team- und Projektleiter auf das alles vorbereitet? Wann haben wir sie das letzte mal in diesen so wichtigen und erfolgsentscheidenden Fähigkeiten trainiert?